Protozoeninfektion

NATUR+PHARMAZIE 1/2004

Amöbenruhr - eine Frage der Hygiene

Die Amoebiasis zählt weltweit zu den häufigsten Ursachen von Todesfällen durch Parasiten, hervorgerufen durch Entamoeba histolytica. Endemiegebiete dieser einzelligen Parasiten sind tropische und subtropische Gebiete.

Anders als die meisten Protozoen weist Entamoeba histolytica einen einfachen Lebenszyklus auf, die infektiöse Zyste und das Trophozoiten-Stadium. Menschen - und möglicherweise einige Primaten - sind die einzigen natürlichen Wirte. Mit kontaminiertem Wasser oder Essen werden die Zysten aufgenommen; sie durchqueren den Dünndarm und bilden sich im terminalen Ileum oder im Kolon zum Trophozoiten um. Dieser vermehrt sich durch binäre Spaltung und verlässt als infektiöse Zyste den Darm mit dem Stuhl. Epidemiologie Entamöben sind auf der ganzen Welt verbreitet und ein besonderes Gesundheitsrisiko dort, wo Fäkalien und Nahrungsmittel bzw. Trinkwasser nur unzureichend getrennt werden. Von den geschätzten 500 Millionen Infizierten tragen viele allerdings den nicht pathogenen Keim E. dispar in sich, der selbst bei Immunsupprimierten keine Symptome verursacht. Zwischen 40 000 und 100 000 Menschen sterben jährlich an Amoebiasis. Die Amöben-Kolitis befällt Junge und Ältere beiderlei Geschlechts gleichermaßen, während der Amöben-Leberabszess vorwiegend Männer zwischen 18 und 50 Jahren betrifft. Pathophysiologie Das pathologische Spektrum einer Amöben-Kolitis reicht von Mukosaverdickung über Entzündung und Ulkusbildung bis hin zu Nekrose und Perforation der Darmwand. Die Krankheit beginnt mit der Adhäsion der Trophozoiten an den Epithelzellen des Kolons. Die Zytolyse erfolgt durch Amöbaporen; das sind Proteine, die in Lipidmembranen Löcher bohren. Trophozoiten besitzen auch die Fähigkeit zur Induktion von Apoptose. Die Zysteinproteinasen von E. histolytica sind direkt an der Entzündung des Darms beteiligt. Der weitere Verlauf hängt von der Immunreaktion des Wirts ab. Die Epithelzellen sind keine passiven Opfer, sondern wehren sich mit der Produktion von Interleukinen und COX-2. Die Neutrophilen werden aktiviert. Allerdings kann E. histolytica diese lysieren; dadurch werden vermutlich Mediatoren freigesetzt, die Diarrhö und Gewebeschäden auslösen. - Über das Pfortadersystem können die Trophozoiten in die Leber gelangen und dort die charakteristischen Abszesse verursachen. Symptome Viele Menschen bewältigen den Entamoeba-Angriff ohne Symptome. Allerdings bricht bei 4 bis 10% der asymptomatischen Infizierten die Krankheit innerhalb eines Jahres doch noch aus. Der Beginn einer Amöbenruhr ist in der Regel eher schleichend. Leitsymptome im Gastrointestinaltrakt sind blutige Durchfälle und Bauchschmerzen. Bei Kindern können auch Darmblutungen ohne Durchfälle beobachtet werden. Fieber fehlt meist, außer beim fulminanten Verlauf, dessen klinisches Bild durch Darmperforation bestimmt wird. Die häufigste extraintestinale Manifestation der Amöbenruhr ist der Leberabszess. Meist haben die Betroffenen keine Darmsymptome und ihre Stuhlproben sind negativ. Der Leberabszess kann Monate bis Jahre nach dem Aufenthalt in einem Endemiegebiet manifest werden. Bei manchen Patienten treten in der Folge Atemwegssymptome auf. Husten, pleuritische Schmerzen und Atemnot weisen auf eine vom Leberabszess fortgeleitete pleuropulmonale Amoebiasis hin. Sehr selten ist ein Hirnabszess mit den Leitsymptomen Kopfschmerzen, Erbrechen, Krämpfen und Bewusstseinsstörungen, der in der Hälfte der Fälle rasch zum Tod führt. Diagnose Die Diagnose der Amöben-Kolitis stützt sich auf den Nachweis von E. histolytica im Stuhl oder in der Darmschleimhaut von Durchfallpatienten. Therapie Grundpfeiler der Behandlung einer Amöbenruhr sind nach wie vor die Nitroimidazole (Metronidazol, Tinidazol oder Ornidazol), auch bei fulminantem Verlauf und Perforation. Im Anschluss gibt man Substanzen, die das Darmlumen von den Keimen befreien (Paromomyzin, Iodoquinol oder Diloxanid). Diese Substanzen sind auch für asymptomatische Fälle zu empfehlen; so lässt sich einer Verbreitung der Keime entgegen wirken. Patienten mit Amöben-Leberabszess werden ebenfalls mit Metronidazol behandelt. Eine chirurgische Drainage ist in der Regel unnötig und sollte wegen der Gefahr der Streuung vermieden werden. Ausblick Die Genotypisierung der Keime von Personen mit unterschiedlichen klinischen Manifestationen aus verschiedenen Regionen der Erde könnte helfen herauszufinden, ob bestimmte Stämme eher nur eine Besiedelung oder eine Kolitis oder einen Leberabszess verursachen. Das fast abgeschlossene E.-histolytica-Genomprojekt wird diese Bemühungen durch die Identifizierung weitere Gene, die die Schlüsselfaktoren der Virulenz kodieren, unterstützen. Durch die Schaffung hygienischer Lebensbedingungen weltweit könnte die Amöbenruhr vollständig ausgemerzt werden. Dies ist aber in der näheren Zukunft sicher nicht zu verwirklichen. Nicht nur, aber vor allem wegen der großen Gefährdung der Kinder in der Dritten Welt wäre die Entwicklung eines Impfstoffes besonders dringend. Rekombinante Vakzinen auf Antigen-Basis zur Verhütung von Leberabszessen wurden bereits entwickelt und haben sich im Tierversuch als effektiv erwiesen; am Menschen wurden sie allerdings noch nicht getestet. Auch muss man davon ausgehen, dass solche Vakzinen (wie die Erfahrung bei anderen parasitären Erkrankungen zeigt) keine lang anhaltende Immunität schaffen würden. (EH)

Quelle: Stanley, SL: Amoebiasis, Zeitschrift: THE LANCET, Ausgabe 361 (2003), Seiten: 1025-1034

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x