Interview

NATUR+PHARMAZIE 11/2005

Kalzium und Vitamin D - aktuelle Studienergebnisse

Die Kombination aus Kalzium und Vitamin D hat einen hohen Stellenwert in der Prävention und Therapie der Osteoporose. Aktuelle Studienergebnisse, veröffentlicht im April diesen Jahres in Lancet und British Medical Journal, stellen die Wirksamkeit dieser Kombination hinsichtlich der Reduktion primärer und sekundärer Frakturen in Frage. Privatdozent Dr. med. habil. Stephan Scharla, Bad Reichenhall, erklärt im Gespräch mit der Redaktion, welche Relevanz diesen Studien zukommt.

Redaktion: Welche Rolle spielt die Kombination aus Kalzium und Vitamin D in der Prävention der Osteoporose? Privatdozent Dr. med. habil. Stephan Scharla: Eine optimale Versorgung mit Kalzium und Vitamin D gilt heute als Standard in der Prävention der Osteoporose. Prävention fängt bereits in der Jugend an, denn eine unzureichende Versorgung mit Kalzium bei heranwachsenden Kindern verlangsamt den Aufbau der Knochenmasse und führt zu einer geringeren Knochengipfelmasse (peak bone mass). Bei Menschen in der zweiten Lebenshälfte kommt es zu einem "altersassoziierten" Knochenverlust, der zu einem wesentlichen Teil aus einem veränderten Vitamin-D-Stoffwechsel und einer zu geringen Kalziumzufuhr resultiert. Welche Rolle spielt die Kombination aus Kalzium und Vitamin D in der Behandlung der Osteoporose? Die Kombination von Kalzium und Vitamin D wird heute als wichtige Basistherapie der Osteoporose angesehen, die mit spezifischen Osteoporosetherapeutika kombiniert wird. Dies kommt auch in den evidenzbasierten Leitlinien der Fachgesellschaften zum Ausdruck. Kontrollierte prospektive Studien belegen den Nutzen der Kalzium-Vitamin-D-Kombination zur Verhinderung von Knochenbrüchen sowohl in einem präventiven, bevölkerungsbezogenen Ansatz bei älteren Menschen1 als auch bei gezieltem Einsatz bei gefährdeten Personengruppen wie älteren Bewohnern von Seniorenheimen. Auch der Nutzen von Osteoporose-Medikamenten wie Bisphosphonate oder Raloxifen ist letztendlich nur in der Kombination mit Kalzium und Vitamin D belegt, denn in den Therapiestudien wurde eine ausreichende Kalzium- und Vitamin D-Versorgung jeweils durch die medikamentöse Supplementation gewährleistet. In der Praxis kommt es darauf an, dass die Kalzium- und Vitamin D-Supplementation praktikabel ist. Hier spielen Kombinationspräparate eine wichtige Rolle, um die Anzahl der Tabletten zu reduzieren. Im April diesen Jahres wurden zwei Studien veröffentlicht, die keinen Effekt einer Kalzium- und Vitamin-D-Supplementation auf die Reduktion primärer und sekundärer Frakturen zeigen. Wie beurteilen Sie diese Ergebnisse? Der Stellenwert von Kalzium und Vitamin D wird durch die erwähnten zwei Studien in keiner Weise beeinträchtigt. Diese Studien weisen methodische Schwächen auf, weshalb sie nicht als Gegenbeweis für die Wirksamkeit von Kalzium und Vitamin D angesehen werden können. Dagegen belegen verschiedene Metaanalysen, z. B. die von Bischoff-Ferrari et al. aus diesem Jahr sehr überzeugend den Nutzen von Kalzium und Vitamin D in der Prävention von Frakturen. Die in den Leitlinien abgegebenen Empfehlungen zur Kalzium- und Vitamin-D-Versorgung bleiben deshalb gültig. Warum unterscheiden sich die Ergebnisse dieser beiden Studien von bisherigen positiven Ergebnissen? Beide Studien waren so angelegt, dass aufgrund des Studiendesigns von vornherein der Wirkungsnachweis für Kalzium und Vitamin D erschwert war. In der Studie von Porthouse et al.2 wurden ältere Frauen im Rahmen der hausärztlichen Versorgung nach Kriterien wie schlechter Gesundheitsstatus, früherer Fraktur und niedrigem Körpergewicht ausgesucht. Vitamin-D-Mangel oder kalziumarme Ernährung waren keine Auswahlkriterien! Die untersuchte Stichprobe dürfte keinesfalls für die allgemeine Bevölkerung repräsentativ gewesen sein. Weiterhin wurde die Interventionsgruppe mit Kalzium und Vitamin D versorgt, die Kontrollgruppe aber ebenfalls angewiesen, sich mit Kalzium und Vitamin D (selbst) zu versorgen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass zwischen beiden Gruppen kein Unterschied in der Häufigkeit von Knochenbrüchen gefunden wurde, da ja beide Gruppen ihre Kalzium- und Vitamin-D-Versorgung verbesserten. Darüber hinaus lag bereits bei Studienbeginn die Kalziumzufuhr im Durchschnitt bei 1050 mg pro Tag und damit viel höher als in der mitteleuropäischen Bevölkerung. In der RECORD-Studie3 wurden Patienten mit früheren Frakturen eingeschlossen. Auch hier hatte Kalzium/Vitamin D keinen Effekt auf die Rate von neuen Knochenbrüchen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Da bei diesen Patienten die Knochendichte jedoch nicht untersucht worden war, ist nicht klar, ob sie überhaupt eine Osteoporose hatten. Auch diese Studie kann also die Effektivität von Kalzium/Vitamin D keinesfalls widerlegen. In beiden Studien war außerdem die Compliance in der Therapiegruppe jeweils recht niedrig. Wie beurteilen Sie abschließend die Gabe von Kalzium plus Vitamin D in der Prävention und Behandlung der Osteoporose? Die vorhandenen kontrollierten Studien in Form von Metaanalysen zeigen eindeutig, dass Kalzium plus Vitamin D das Risiko von Knochenbrüchen senken kann, wobei neben der Verbesserung des Knochenstoffwechsels auch die Reduktion von Stürzen eine große Rolle spielt. Natürlich ist die Effektivität von Kalzium plus Vitamin D in solchen Bevölkerungsgruppen am größten, die eine Mangelsituation aufweisen. Die Daten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung belegen aber, dass gerade ältere Menschen in Deutschland im Durchschnitt eine zu geringe Kalziumzufuhr mit der Ernährung aufweisen. Eigene Untersuchungen an einer randomisierten Bevölkerungsstichprobe zeigten einen verbreiteten Vitamin D-Mangel. Die Empfehlung von Kalzium und Vitamin D sowohl in der Prävention als auch in der Behandlung der Osteoporose hat weiterhin eine hohe Bedeutung.

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