Adipositas-Jahrestagung Deutschland-Österreich-Schweiz, Salzburg 2003

NATUR+PHARMAZIE 1/2004

Jedes sechste Kind ist zu dick!

Prävention und Therapie des Übergewichts entwickeln sich zu zentralen Herausforderungen für die Medizin. Einen besonderen Schwerpunkt legte die Dreiländertagung in Salzburg auf die besorgniserregende Zunahme von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen. In Deutschland hat sich der Anteil übergewichtiger Kinder in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt. Diese dicken Kinder werden die multimorbiden Erwachsenen von morgen sein, wenn nicht konsequent gegengesteuert wird.

Viele Kinder von heute sitzen stundenlang vor Fernseher oder Computer und bewegen sich wenig. Gleichzeitig ernähren sie sich zunehmend einseitig - am liebsten von energiereichen Fast-food-Produkten und Getränken. Die Folge: In Deutschland nimmt die Zahl übergewichtiger Kinder und Jugendlicher um 0,3% pro Jahr zu. Dies scheint auf den ersten Blick nicht viel zu sein. Doch hat dieser Trend inzwischen dazu geführt, dass 18% der jungen Menschen in Deutschland übergewichtig sind. Bereits 8% aller Schulkinder leiden an Adipositas. Die wichtigsten Risikofaktoren sind nach der Kieler Adipositas-Präventionsstudie (KOPS) Übergewicht der Eltern, Herkunft aus einer sozial schwachen Familie sowie sehr niedriges oder sehr hohes Geburtsgewicht. Trotz des jungen Alters haben viele der übergewichtigen Kinder bereits Gesundheitsschäden: Bei 35% finden sich Hochdruck, Fettstoffwechselstörungen oder Insulinresistenz. In einer Studie der Universitäts-Kinderklinik Ulm und des Adipositas-Rehabilitationszentrums Berchtesgaden fand man bei 227 extrem adipösen Kindern und Jugendlichen eine um den Faktor 3 erhöhte Prävalenz einer gestörten Glukosetoleranz im Vergleich zu bisher untersuchten Kollektiven übergewichtiger Kinder und Jugendlicher. Rund 30% der dicken Kinder und Jugendlichen weisen bereits eine Fettleber auf. Deutlich erhöht ist auch ihr Risiko, an einem Gallensteinleiden zu erkranken. Eine Untersuchung zeigt, dass Ausdauerleistungsfähigkeit und Gesamtkörperkoordination bereits bei übergewichtigen und adipösen Kindern im Grundschulalter stark eingeschränkt sind. Dies führt zu sozialer Isolation, psychischen Problemen und beeinträchtigt die weitere motorische Entwicklung. Um gegen Übergewicht im Kindesalter erfolgreich vorzugehen, sind interdisziplinäre Konzepte zur Verhaltensänderung und Bewegungsmotivation notwendig. Dabei müssen die Eltern der Kinder immer mit einbezogen werden, wenn der Erfolg Bestand haben soll. Auf dem Salzburger Kongress wurde eine Reihe ambulanter Adipositas-Therapieprogramme vorgestellt. Spezielle Adipositas-Programme für Jugendliche sind allerdings derzeit noch Mangelware. Viele Jugendliche nehmen deshalb an ungeeigneten Erwachsenen-Programmen teil. Dies führt dazu, dass somatische und psychologische Komorbiditäten eher gefestigt als verringert werden. Erste Ergebnisse einer ambulanten Adipositas-Gruppentherapie, die das sozialpädiatrische Zentrum der Kinderklinik Kohlhof in Neunkirchen seit kurzem anbietet, zeigen, dass ambulante Konzepte zum Erfolg führen können. Das Trainingsprogramm dauert zwölf Monate und besteht aus 24 Schulungsnachmittagen zu 150 bis 180 Minuten. Die Hälfte dieser Zeit nimmt Sport ein. In Gruppen von acht bis zwölf Teilnehmern werden die Kinder von Diätassistenten, Psychologen, Sporttherapeuten und Ärzten betreut. Zusätzlich finden sechs Elternschulungen und zwei gemeinsame Familiennachmittage statt. Von den ersten 15 Patienten, die das Training beendet haben, taten dies nur zwei vorzeitig, zehn konnten ihre Erhöhung des Body Mass Index vermindern. Alle haben ihr Ernährungs- und Bewegungsverhalten positiv verändert. Ähnliche ambulante Betreuungskonzepte, z. B. das interdisziplinäre KIDS-Schulungsprogramm über 18 Monate, das die Kinderklinik Prinzessin Margaret in Darmstadt, anbietet, bringen ähnlich positive Ergebnisse. Die Nachfrage ist erfreulich groß. An der sportmedizinischen Abteilung der Universität Freiburg läuft bereits seit 1990 ein interdisziplinäres Interventions-Programm (FITOC - Freiburg Intervention Trial for Obese Children), das sich an übergewichtige Kinder (acht bis elf Jahre) richtet und acht Monate dauert. Sie treffen sich dreimal wöchentlich zu Sportaktivitäten und Ernährungs- und Verhaltensschulung. Bei 70% der teilnehmenden Kinder konnte der BMI verringert werden. Lipidwerte und motorische Leistungsfähigkeit verbesserten sich. Mit FITOC-Mini und FITOC-Maxi stehen inzwischen auch Varianten des Programms zur Verfügung, die speziell auf die jeweilige Altersgruppe der Kindergartenkinder und der Jugendlichen von zwölf bis sechzehn Jahren abgestimmt sind. In einer Studie des Adipositas-Zentrums Oberhausen, der Universitäts-Kinderklinik Düsseldorf und der Kinderkardiologie des KWK Düsseldorf ging man der Frage nach, welche Erfolge durch einen multidisziplinären Therapieansatz langfristig, d. h. über drei Jahre, erreichbar sind. Ernährung und Verhalten konnten durch Übung strukturierter Ess- und Einkaufspläne, Führen von Er-nährungstagebüchern, psychologische Betreuung und sportliche Aktivitäten nachhaltig verändert, und das Selbstvertrauen konnte gefestigt werden. Maximale Sauerstoffaufnahme und Belastbarkeit besserten sich, die anaerobe Schwelle stieg an. BMI, Hautfaltendicke und Körperumfang nahmen ab. Auch Adipositas-assoziierte Erkrankungen wie Hypertonie oder Gelenkerkrankungen wurden positiv beeinflusst. (AB)

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